Vorgänger Lage der Nation II
{Sollte ein Leser empfinden, dass ich im Folgenden zu humoristisch mit der aktuellen Realität in Libyen umgehe, bitte ich zu bedenken, dass Menschen unterschiedlich Erlebtes verarbeiten.}
Die Auswahlmöglichkeiten waren deutlich begrenzt.
· Abwarten und Tee trinken, da wir in der Wohnung von Armin eigentlich sicher waren, stand gegenüber der Tatsache, dass es mit jedem Tag schlimmer werden könnte. Da wir gesehen hatten wie sich die Lage in Benghazi mittlerer weile zugespitzt hatte, empfanden wir es aber als riskante Variante auf ein Abflauen der Unruhen zu hoffen. Auch war nicht zu erwarten, dass wir von der Bundeswehr geborgen werden, sollte sich die Lage in Dernah verschlimmert.
· Zu versuchen den Flughafen von Benghazi zu erreichen, schied auf Grund der Informationen über die Stadt direkt aus.
· Nicht wissend, ob man die Grenze nach Ägypten passieren konnte, war diese Option ebenfalls in die hintere Reihe gerutscht.
· Nicht ohne Risiko, aber am erfolgversprechendsten erschien die Möglichkeit durch das Hinterland im Süden die Unruhen zu umfahren und uns so in den bis dato noch ruhigen Westen des Landes vorzuarbeiten mit dem Hauptziel Tripolis.
Die letztgenannte Option nahmen wir dann in Angriff und legten uns nach einem Pasta-Abendbrot von Armins Mutter wie die Sieben Zwerge in Reih und Glied zum Schlafen. Erst war ich erstaunt, dass Armins Familie so viele Matratzen und Decken parat hatte, denn bei mir zuhause wäre es wirklich schwierig geworden mal schnell sieben zusätzliche Schlafmöglichkeiten zu errichten. Dann fiel mir aber ein, dass der Besuch von den Libyschen Verwandten eine noch deutlich größere Anzahl an Gästen bedeutet, wenn sagen wir mal zwei Bruder mit ihren Frauen und jeweils 5 Kindern zu Besuch kommen. Uns kam dies nur gelegen, da wir somit in den Genuss einer angenehmen Schlafmöglichkeit kamen. Einzig das Schnarchen von Armin, der neben mir lag, trieb mich dazu mitten in der Nacht meine Matratze in die Küche umzusiedeln, da meine Versuche das Schnarchen durch die Veränderung seiner Kopfhaltung mit Hilfe von starkem Zerren an seinem Kissen erfolglos waren.
Kleine Anekdote am Rande, von der Coolheit unseres einheimischen Dokumentcontrollers Mischa.
Da Mischa unbedingt seinen Pass noch aus dem schon unter Plünderung stehenden Camp retten wollte, machte er sich gegen unseren Rat auf den Weg zu unserem Bürogebäude. Als er dort ankam waren Einheimische grade dabei Büroräume einzutreten. Um möglichst unauffällig zu bleiben fragte Mischa einen Vandalen, der grad erfolglos an einer Tür rummachte, ob er ihm helfen könne. Als dieser dankend ablehnte, machte sich Mischa seinerseits gewaltsam an der Tür zu schaffen, hinter der er seinen Pass und für die er eigentlich auch den Schlüssel in der Tasche hatte. Dann rief der Coole Hund auch noch bei uns an und fragt, ob er noch etwas mitbringen solle. Unglaublich. Wir gaben ihm dann den Tipp, dass in einem der Büros noch ein Autoschlüssel für ein noch nicht gestohlenen Fahrzeugs läge und da er die Tür nicht auf gebrochen bekam, für die er diesmal aber auch keinen Schlüssel hatte, schlug er sich klassisch durch das Fenster und konnte sich somit noch etwas schneller in Sicherheit bringen. Obwohl ich mir sicher bin, dass die rumstehenden Plünderer ihm bestimmt stolz auf die Schulter geklopft haben. Ungewöhnliche Umstände verlangen nach ungewöhnlichen Lösungen.
Samstag der 19. Februar
Nachdem wir aufgestanden wurden fleißig Aufgaben verteilt. So baten wir unsere Libyschen Kollegen darum, uns die Autos aufzutanken und zusätzliche Benzinkanister zu besorgen. Die vier Kollegen die im Camp ihre Unterkunft hatten, machten sich auf die Suche nach möglichen verbliebenen persönlichen Hab und Gut, aber mussten das Vorhaben wieder abbrechen, als gewahr wurde, dass das Camp noch weiterhin bewacht und besetzt war.
Thore und ich hatten da mehr Glück, da unsere außerhalb liegenden Unterkünfte unberührt waren und wir somit noch einen Koffer mit den liebsten Dingen packen konnten. Aber auch das ist merkwürdig einen Koffer zu packen, mit dem wissen, dass man alles was da nicht reinkriegt, wohl auch nicht mehr wiedersehen wird.
Bei der Tour durch Dernah, konnten wir uns davon überzeugen, dass das Baucamp an dem vorherigen Abend kein Einzelfall war. Alle Polizeistationen auf dem Weg waren in Brand gesteckt worden, so dass sie entweder noch vor sich hin qualmten, ausgebrannt die schwarzen Rußspuren an den Fenster und Türen trugen oder direkt zusammen gebrochen waren. Ebenfalls hatte man das mindestens fünfstöckige Gerichtsgebäude in Flammen aufgehen lassen und auch die Hafengebäude ließen Rauchwolken in den Himmel steigen. Am Hafen hatten sich die nächtlichen Nutznießer des Chaos noch einmal anständig mit Fahrzeugen eingedeckt, denn die 600 Neuwagen, die vor kurzem die Staufläche vor den Hafengebäuden schmückten, waren alle samt gestohlen. Da in der gesamten Stadt keine Polizei mehr zu sehen war, präsentierten die neuen Halter auch ganz ohne Scheu, eher mit Stolz ihre Nummernschilds-losen Fahrzeuge in der Stadt.
Der Hafen
Die Hafenverwaltung
Das Gerichtsgebäude
Als wir uns bei Armin wieder zusammen gefunden hatten, gab es noch zwei wichtige Punkte zu entscheiden. Da die Nummernschilder von Fahrzeugen, die nicht Libyern gehörten, deutlich durch einer Schwarzen Nummer, die das Land auswies, auf blauen Hintergrund gekennzeichnet waren, stand die Frage im Raum, ob wir diese gegen libysche Nummernschilder tauschen, um nicht von Weitem gleich als Ausländer erkannt zu werden. Wir entschieden uns aber gegen den Austausch, da die falschen Nummernschilder bei Polizeikontrollen uns wiederum in Schwierigkeiten gebracht hätten. Stattdessen hatte einer unser Libyer Übernacht schon den blauen Hintergrund vom Nummernschild abgekratzt und den restlichen Teil mit Schlamm überschmiert. Zufrieden mit dieser Lösung, hatten wir diesen Punkt geklärt.
Als zweites musste sich unser Kollege Schumi, der aus Ghana stammt, entscheiden, ob er mitkommen wollte oder nicht. Sein zusätzliches Problem und Risiko war nämlich der Verlust seines Reisepasses beim Diebstahl des Autos samt Gepäck am vorherigen Tag. Immerhin besaßen wir eine Scan von diesem Dokument und konnten es noch durch einen unserer Libyschen Kollegen ausdrucken lassen, aber perfekt war das natürlich nicht. Der Umstand, dass Schumi noch seinen libyschen Führerschein besaß, ließ ihn sich dafür entscheiden es mit diesem als erste Ausweismöglichkeit zu versuchen und mitzukommen.
11:00 Uhr war Abfahrt. Unser Tagesziel war die Stadt Sirte. Da die Stadt und die Umgebung der langjährige Arbeitsplatz von Thore waren, kannte er sich dort sehr gut aus und hatte viele Kontakte, mit deren Hilfe er uns vorab schon Unterkünfte besorgen und die aktuelle Lage vor Ort in Erfahrung bringen konnte, die uns als ruhig mitgeteilt wurde. Ebenfalls konnten wir von Thores Erfahrungen über das Land und sein Straßennetz schöpfen, als es darum ging die Fahrtrute festzulegen.
Nachdem wir uns von unseren libyschen Kollegen verabschiedet hatten machten wir uns sieben Personen auf den Weg. Der bunt zusammengewürfelte Haufen bestand aus zwei Ghanaern, zwei Österreichern, zwei Deutschen und einem Libyer aufgeteilt auf zwei Fahrzeugen, von dem das Eine ein österreichisches und das Andere ein türkischen Nummernschild besaß.
Das erste was wir erblickten als wir in Richtung Süden Dernah verließen, war ein frisch angezündetes in Flammen stehendes Polizeigebäude, was uns gleich mal deutlich machte, dass die Unruhen der Nacht noch nicht abgeklungen waren. Kurz nach verlassen von Dernah setzt ein starker Regen ein, von dem ich hoffte, dass er die aktuellen Brände erlöschen würde. Ebenfalls verlieh der Regen mir die Hoffnung, dass viele der randalierenden Mitläufer sich als Schönwetter-Rowdies entpuppen und somit unsere Fahrt ungestörter verlaufen würde. Nach den ersten 60 Kilometern wechselte das Wetter nahezu übergangslos von dem Starkregen in den heftigsten Gibli, den ich in meinen zwei Jahren Libyen erlebt habe.
Der Sandsturm war teilweise so dicht, dass man Mühe hatte über die Motorhaube hinweg zu sehen und sich höchsten durch einen Blick aus dem Seitenfenster orientieren konnte, ob man noch auf Asphalt fuhr. Der Sand wurde durch die geschlossene Beifahrerscheibe, auf die der starke Wind stand, gepresst und bildete größere Häufchen auf der Türverkleidung unterhalb des Fensters. Streckenweise hob sich die Nadel des Tachos nicht einmal an und verharrte unterhalb der 20 Stundenkilometer Markierung. In diesen Abschnitten hatte Thore als mein Beifahrer das Lenkrad in der Hand und versuchte sich direkt an die Straßenkante zu orientieren, die er aus dem Seitenfenster zu erspähen hoffte. Ich meinerseits war für die Geschwindigkeit und den Blick nach vorne zuständig, um eventuelle Hindernisse, die uns frontal begegnen könnten, zu lokalisieren.
Wirklich unangenehm waren die zwischendurch auftretenden Regengüsse im Standsturm, die dreckige Regentropfen auf den Scheiben aufschlagen ließen. Bei dem Versuch die Sicht mit Hilfe des Scheibenwischers zu verbesser, war der gegenteilige Effekt garantiert und das Wasser aus der Scheibenwischanlage war durchaus limitiert. Trotz dieser fahrtechnischen unangenehmen Umstände empfand ich den Sandsturm, ebenso wie den Starkregen zuvor, eher als Schutz für uns, als ein Hindernis. Wenn wir nichts sehen konnten, konnten uns auch andere nicht sehen. Richtig erschreckt hatten wir uns nur einmal, als plötzlich ein Truck vielleicht 20 Meter vor uns unbeleuchtet aus dem Sand wie aus dem Nichts auftauchte. Wie ein Geisterschiffen, das aus dem Nebel sich vor einem auftürmt und dann genauso schnell wieder verschwindet.
Nach rund 90 Kilometer Fahrt legten wir unseren ersten Tankstop im Standsturm ein. Obwohl es vom Benzinverbrauch noch nicht nötig war, wollten wir jede Möglichkeit einer offenen Tankstelle nutzen, die sich uns bot.
Nach weiteren 100 Kilometern, die wir in Richtung Süden gefahren waren, trafen wir auf Wüstenstraße, die unsere Umfahrung der brenzligen Städte Benghazi und Al Beida darstellte. Das erste was uns da draußen im Nirgendwo begrüßte war dann auch wieder das abgebrannt Gebäude einer ehemaligen Polizeikontrolle. Da hatte sich wirklich jemand die Mühe gemacht auch hier hinaus zu fahren, um seinen Unmut kund zu tun. Einzig die Tatsache, dass das es keine Rauchentwicklung gab, ließ uns vermuten, dass sich die Brandstifter schon länger wieder entfernt hatten und wir somit keiner direkten Gefahr ausgesetzt waren.
Ab dieser Kreuzung machten wir uns dann nach Westen auf in Richtung der Stadt Ajdabiya. Auf dieser Wüsten Straße, die sich in der entgegengesetzten Richtung Ägypten führte, trafen wir dann auf sehr viele Fahrzeuge, auf deren Dächern sich das gesamte Hab und Gut von wahrscheinlich Ägyptischen Gastarbeitern Meterhoch stapelte. Und ganz oben drauf hatte die Meisten eine Schubkarre umgedreht eingebunden, von der wir vermuteten, dass es sich dabei um das Arbeitsgerät des jeweiligen Arbeiters handelte.
200 Hundert Kilometer später tauchte in sandfreier Atmosphäre die Stadt Ajdabiya vor uns auf, die wir auf unserer Route als Risikopunkt ausgemacht hatten, da wir auch von Ausschreitungen in dieser Stadt gehört hatten.
Fortsetzung folgt…