Wenn man durch den Pony nichts mehr sehen kann, ist es an der Zeit zum Frisör zu gehen. Gesagt, getan. Als ich gegen 18:30 in den Laden eintrat wurde ein Kunde bereits bedient und ein Zweiter mit Glatze und 1-Tag-Bart wartete. Innerhalb der nächsten 55 Minuten konnte ich mit Erstaunen miterleben, wie lange man an einem Kopf schnippeln (schnippel, schnippel, schnippel) kann, ohne eine für mich wirklich sichtbare Veränderung zu erreichen. Alle am Kopf verfügbaren Haare wurden bearbeitet: angefangen vom normalen Haar über den Bart, Haare am und im Ohr und natürlich die Nasenhaare. Als er endlich fertig war teilte mir der Frisör mit, dass er und Mr. Glatze kurz Beten gehen und steckte mir fünf Finger für die Zeitangabe entgegen. „Was soll!“ dachte ich und hatte kurz gehofft, dass Mr. Glatze nur der Gebets-Kumpel vom Frisör ist.
Pustekuchen!! Als beide ca. 15 Minuten später wieder im Laden auftauchten, begann die Überarbeitung von Glatze. Ich gebe zu, ich bin jetzt kein Frisör-Experte, aber die verwendete Zahnseidentechnik hab ich noch nie irgendwo gesehen. Da nimmt sich der Frisör von einem ca. 60 cm langen Faden das eine Ende in den Mund und das Andere schlingt er um verschiedene Finger seiner beiden Hände. Dann scheint er die Übergänge von Bart und Wange mit dem Faden zwischen den Händen zu massieren oder zu zupfen und sein Kopf zieht das andere Fadenende vor und zurück. Hat ein bisschen etwas von der Kopfbewegung von Hühnern. Wenn mir irgendjemand sagen kann wofür diese Behandlung ist, freue ich mich auf jede Antwort.
Zack 45 Minuten Rumgetüttel an Mr. Glatze inklusive Kremchen und Haargel (!!! sah jedenfalls so aus) bin ich auch schon dran. Um eine gewisse Richtung vorzugeben habe ich meinen Personalausweis mit genommen und vorgezeigt, um nicht vollkommen geschoren zu werden. Dies sorgte zur Erheiterung der nach mir eingetroffenen drei Kunden, aus wahrscheinlich Ghana. Aber lieber Lacher als Glatze.
Europäisches Haar scheint schneller zu gehen, dann meine Behandlung dauerte nur rund 35 Minuten, allerdings hatte ich auch nur Kopfhaare und nicht das volle Programm genossen. Trotzdem habe ich versucht die Arbeitsschritte zu zählen.
Zum Vergleich. Bisher wurde bei meinem anspruchslosen Haarschnitt die Seiten rasiert, das Deckhaar gestutzt, der Übergang angepasst fertig.
Hier ging es auch mit rasieren los, allerdings wurde 5x der Aufsatz gewechselt, dann kam das Deckhaar mit Rasierer, danach mit Schere und anschließend mit Rasierer 2x Aufsatz gewechselt, dann wurde der Übergang mit mehreren Rasiereraufsätzen abgearbeitet. Danach wurde der schnelle Wechsel zwischen Rasierer und Schere unübersichtlich. Von der durchgehend laufenden Gebetsmusik aus dem Fernseher war ich mittlerweile so gelähmt, dass ich nicht mehr in der Lage war die restlichen Arbeitsschritte zu behalten.
Der Fernseher läuft natürlich (wie in jedem anderen Laden auch) kontinuierlich und der Frisör schaltet auch häufig um oder macht lauter und leiser, je nachdem wie interessant er das Gebetsprogramm findet.
Das eventuell erwartete Kracher-Ende der Geschichte bleibt allerdings aus, denn die entstandene Frisur entsprach voll und ganz meinen Vorgaben und über den Preis von umgerechnet 1,50 Euro kann man sich nicht beklagen.
Ich habe den Laden dann gegen 21:00 Uhr verlassen und fragte mich nur, wo die mittlerer Weile angesammelten weiteren 6 Kunden ihre Schlafsäcke versteckt haben, denn dass alle am selben Tag noch verarztet werden ist kaum vorstellbar.
Fazit: Einen Frisörbesuch sollte jeder der nach Libyen kommt einmal miterleben und wenn man sich nur hinsetzt und zuschaut.